Ein automatisches Melksystem (AMS) ermöglicht eine vollständige Automatisierung des gesamten Melkvorgangs bei Milchkühen. Im klassischen Melkstand werden das Reinigen der Zitzen, das Ansetzen des Melkzeugs, die Milchkontrolle, das Abnehmen des Melkzeugs und die hygienische Zitzenbehandlung manuell vom Menschen durchgeführt. Einige dieser Arbeitsschritte können in teilautomatisierten Melkständen einzeln automatisiert werden. In der Melkbox hingegen werden alle Schritte vollautomatisch durch das AMS ausgeführt, wodurch ein 24-Stunden-Betrieb ermöglicht wird. Das Kernelement des gesamten AMS ist der Melkroboter, der das präzise Ansetzen des Melkzeugs an die Zitzen durch elektronische Erkennungssysteme und optische Sensoren gewährleistet [1].
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Die Melkbox mit Melkroboter umfasst je nach Hersteller die in Abbildung 2 dargestellten Bauteile, von denen die mechanischen Komponenten in einem mehr oder weniger geschlossenen Boxenraum untergebracht sind:
Laktierende Kühe suchen in der Regel freiwillig automatische Melksysteme auf. Die Identifizierung der Kühe in der Melkbox erfolgt über RFID (Radio Frequency Identification) und eine tierindividuellen, elektronischen Kennzeichnung (angebracht an Halsbänder, Fesselbänder mit bspw. Pedometer oder Ohrmarken oder in Form von Bolis). Die Software legt fest, wann eine Kuh gemolken werden soll, basierend auf der Zwischenmelkzeit (Zeitabstands seit der letzten Melkung) und der berechneten Euterfüllung, die mit Sollwerten abgeglichen werden.
Ein Besuch der Kuh in der Melkbox wird durch positive Assoziationen gefördert, beispielsweise durch das Angebot von Kraftfutter, das sie im AMS abrufen können. Die verschiedenen Kraftfuttersorten mit unterschiedlichen Energie- und Eiweißgehalten können optional durch Mineralfutter und/oder Zusätze zur Ketosevorbeugung ergänzt und in mehreren Portionen mit Mindestzeitabständen abgerufen werden. So wird sichergestellt, dass Kühe das Melksystem mehrmals täglich besuchen und ein regelmäßiger Milchentzug gewährleistet ist. Die Futtermengen werden jedem Tier individuell bedarfsgerecht zugewiesen.
Vor dem Melkvorgang wird die Kuh stimuliert, die Zitzen des Euters werden gereinigt und anschließend wird das Melkzeug angesetzt. Während des Milchentzugs wird der Milchfluss der jeweiligen Kuh viertelweise überwacht und bestimmte Eigenschaften der Milch wie Farbe, Leitfähigkeit und Zellzahl werden über Sensoren erfasst. Bei Unterschreitung einer festgelegten Schwelle des Milchflusses wird der Vorgang beendet, um das Eutergewebe nicht zu schädigen. Anschließend werden die Zitzen desinfiziert, die Melkbecher gereinigt und die Kuh durch das Öffnen der Ausgangstür aus dem AMS entlassen. Bei Bedarf werden zwischen den Melkvorgängen die milchführenden Teile gereinigt und desinfiziert.
Soll eine Kuh nicht gemolken werden, beispielsweise aufgrund geringer Milchleistung oder einer zu kurzen Zwischenmelkzeit, wird kein Kraftfutter ausgegeben und der Melkvorgang nicht gestartet. Die Kuh wird entweder durch Verschließen der Ein- und Auslasstüren vom Zugang zum AMS selektiert oder zum Verlassen der Melkbox aufgefordert.
Die automatischen Melksysteme (AMS) weisen eine Vielfalt an Konzepten und eingesetzten Technologien auf, was zu einer Vielzahl von Bauformen führt. Sie können in zwei Varianten mit unterschiedlicher technischer Ausführung unterteilt werden:
Individuelles Aufsuchen durch Einzeltiere:
Diese Variante eignet sich für kleinere und mittlere Tierbestände bis ca. 300 laktierenden Kühen. Pro Box kann mit einer Kapazität von ca. 60 laktierenden Kühen gerechnet werden. Kennzeichen ist das individuelle Aufsuchen der Melkbox(en) durch die Einzeltiere. Dieses System kann zusätzlich mit Vor- oder Nachselektionseinrichtungen ausgestattet werden.
Melken von Tiergruppen („Batch-Milking“):
Diese Variante eignet sich für größere Bestände. Im Unterschied zu der oberen Variante werden hier Gruppen von Tieren zu den gruppiert angeordneten Melkrobotern getrieben. Dieses System verfügt in der Regel über computergesteuerte Nachselektionseinrichtungen, um das Handling der Tiere zu optimieren.
Automatische Melksysteme setzen eine Vielzahl an unterschiedlichen Sensoren ein, um wichtige Informationen während des Melkvorgangs in verschiedenen Bereichen zu sammeln. Das reicht von der Überwachung des Melkvorgangs, über die Eutergesundheit, die Fütterung bis hin zum Bereich des Gesundheits- und Fruchtbarkeitsmanagements.
Die Milchmenge wird bei jedem Melkvorgang automatisiert vom Melksystem erfasst, und Abweichungen von der erwarteten Milchmenge können sofort erkannt werden. Eine Veränderung der Milchtemperatur und der Leitfähigkeit oder erhöhte somatische Zellzahlen der Milch können auf eine Infektion beziehungsweise Entzündung im Euter hinweisen. Farbveränderungen, Enzyme oder einen verringerten Laktosegehalt in der Milch können herstellerspezifisch ebenfalls auf Eutergesundheitsprobleme hinweisen.
Andere Sensoren sind in der Lage, den Fett-, Eiweiß- und Harnstoffgehalt der Milch zu bestimmen, woraus sich Rückschlüsse auf die Fütterung ziehen lassen. Außerdem kann Beta-Hydroxybutyrat (BHB; Ketonkörper) in der Milch bestimmt werden, um einen Energiemangel bzw. Ketosen frühzeitig zu erkennen.
Mehrere Hersteller bieten unter anderem Sensoren zur Bestimmung des Progesterongehalts in der Milch an, um eine mögliche Brunst oder Trächtigkeit zu erkennen und damit die Fruchtbarkeit der Tiere zu überwachen.
Neben der Milchmenge und dem Milchfluss können in AMS auch andere Parameter erfasst werden, wie z. B. die Melkfrequenz, die Melkgeschwindigkeit oder die Melkdauer. Auch das Melkverhalten der Kühe kann erfasst werden. Wie lange benötigt der Roboter, um die Melkbecher anzusetzen, wie erfolgreich das Ansetzen war oder auch wie viele Melkungen einer Kuh fehlgeschlagen sind. Diese Werte können auf gesundheitliche Probleme, technische Probleme oder nervöse Tiere hinweisen und ggf. eine Anpassung des Melkens erfordern.
Die kontinuierliche Überwachung dieser Werte liefert einerseits Informationen und andererseits bildet sie eine Grundlage für Managemententscheidungen, die es dem Landwirt ermöglichen, frühzeitig potenzielle Stoffwechselstörungen oder Probleme bei der Eutergesundheit zu erkennen und erforderliche Maßnahmen zu ergreifen.
Deutschlandweit waren bereits im Jahr 2013 4.343 AMS in 3.083 Betrieben installiert, davon waren in Bayern etwas mehr als 1.000 AMS im Einsatz. Ein Jahrzehnt später stieg diese Zahlen allein in Bayern auf 4.492 AMS in 3.231 milchviehhaltenden LKV-Betrieben (ca. 14 % aller Betriebe und 50 % der Betriebe mit mehr als 60 Kühen). Dies deutet auf einen anhaltenden Trend für den Erwerb und die Installation von AMS auf Milchviehbetrieben hin. Auf bayerischen LKV-Milchviehbetrieben sind die Melktechnikhersteller DeLaval (40 %), gefolgt von Lely (32 %), GEA (17 %) und Lemmer-Fullwood (10 %) weit verbreitet [2].
Hier folgen passende Praxisbeispiele von FARMPRAXIS
Dr. Jernej Poteko - Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft, Institut für Landtechnik und Tierhaltung
Sophia Sauter - Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft, Institut für Landtechnik und Tierhaltung